Partnerschaftsmodelle: Mehrwert schaffen, Innovation ermöglichen

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Philipp Grätzel von Grätz
Veröffentlicht am 19. November 2019

In einem immer komplexeren Gesundheitswesen sind Einzelkämpfer ein Auslaufmodell. Partnerschaftsmodelle erweitern auf allen Ebenen die Spielräume und ermöglichen es Krankenhäusern, auch unter schwierigen Bedingungen Innovationsführer zu bleiben.

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Krankenhäuser sind in einem modernen Gesundheitswesen großem Druck ausgesetzt. Die finanziellen Mittel sind endlich. Das Personal wird nicht zuletzt als Folge des demographischen Wandels immer knapper. Und der Übergang in eine Wissensgesellschaft stellt auch die stationären Versorger vor die Herausforderung, mit stetig zunehmend Datenmengen zu hantieren.

Der Zugang zu Daten und Technologie sei in diesem Umfeld von enormer Bedeutung, betonte Dr. Peter Gocke, Chief Digital Officer der Charité, am Hauptstadtkongress in Berlin Ende Mai: „In letzter Konsequenz wollen Krankenhäuser bessere Medizin betreiben. Digitalisierung und Datenverfügbarkeit machen das möglich und schaffen mehr Sicherheit für die Patienten.“ Das gelinge aber nur dann, wenn dem komplexen Organismus Krankenhaus Rechnung getragen wird: „Wir brauchen Entlastung für Ärzte und Pfleger und digitale Angebote nicht nur für Patienten, sondern auch für Angehörige. Wir müssen die Sektorengrenzen überwinden und die Dualität von Forschungs- und Versorgungsdaten aufheben.“

Eine wichtige Komponente in diesem Prozess sind für Gocke digitale Plattformen, die die Daten eines Krankenhauses strukturiert zusammenführen und die es auch Partnern erlauben, mit der jeweiligen Einrichtung digital zu interagieren. Das kann im Rahmen klinischer Studien oder Register geschehen, bei der Erfassung von Patient-Reported Outcomes oder im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Apps und Algorithmen.

An der Charité wird derzeit in enger Kooperation mit Industriepartnern eine auf Kooperation und Datenverfügbarkeit angelegte, interoperable Datenplattform aufgebaut. Und sie trage erste Früchte, betont Gocke: So werde derzeit Charitéweit ein Alarmierungsalgorithmus für Patienten mit beginnender Nierenschädigung implementiert, der darauf abzielt, zu verhindern, dass Patienten in ein akutes Nierenversagen abgleiten. Viele andere derartige Anwendungen seien denkbar, wenn ein Krankenhaus seine Datensilos aufbreche.

Krankenhausweite Datenplattformen sind ein Bereich, bei dem es für ein Krankenhaus Sinn macht, Kooperationen mit Industriepartnern und mit anderen Einrichtungen einzugehen. Ein weiterer Bereich, in dem Kooperation dazu beitragen kann, die Herausforderungen, vor denen Krankenhäuser stehen, zu meistern, ist die Medizintechnik. So ist das Klinikum Braunschweig im Rahmen des so genannten „Braunschweiger Modells“ eine Technologiepartnerschaft mit Siemens Healthineers eingegangen, um den Investitionsstau bei diagnostischen und therapeutischen Medizingeräten aufzulösen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit im Blick zu behalten.

„Unser Ziel war, unsere Leuchttürme, etwa in der Onkologie, pointiert herauszuarbeiten und gleichzeitig krankenhausweit die Modernisierung insbesondere der Großgeräte zu gewährleisten und sinnvoll zu planen“, erläutert Dr. Andreas Goepfert, Geschäftsführer des Klinikums Braunschweig. Dazu haben sich in Braunschweig die Medizintechnik, die Leistungserbringer sowie Administration und Controlling schon im Vorfeld der Ausschreibung an einen Tisch gesetzt und sehr strukturiert überlegt, welche Anforderungen zu stellen sind.

„Technologiepartnerschaften ermöglichen es aufgrund der Langfristigkeit der Verträge, besser an sinnvollen Innovationssprüngen teilzunehmen“, betont Goepfert. Gleichzeitig ließen sich Prozesse optimieren und die Bedürfnisse des Personals adressieren, unter anderem weil die Vereinheitlichung des Geräteparks unterschiedliche Bedienphilosophien beseitige und die Schnittstellenproblematik reduziere.

„Für uns als Hersteller werden solche Partnerschaften immer relevanter“, bestätigt PD Dr. Sören Eichhorst, Global Head of Healthcare Consulting bei Siemens Healthineers. Er weist daraufhin, dass Partnerschaftsmodelle individuell und flexibel ausgestaltet werden, das heißt im Sinne einer Value Partnership neben Innovationsplanung, Beratungen hinsichtlich Workflows und klinischen Abläufen auch Pay-per-Use-Vereinbarungen sowie Risk-Sharing-Ansätze enthalten können.

Auch die RHÖN-KLINIKUM AG unterhält am Campus Bad Neustadt eine Technologiepartnerschaft mit Siemens Healthineers. Der Rhön-Vorstandsvorsitzende Stephan Holzinger plädiert aber dafür, Partnerschaften breiter zu denken. Zwar seien Kostensenkung und Qualitätssteigerung wichtig. „Bei Rhön stellen wir uns aber zusätzlich die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, Partnerschaften einzugehen, die auch die Bindung von Mitarbeitern und die Gewinnung neuer Mitarbeiter unterstützen.“

Holzinger macht das an Beispielen fest. So kooperiert der Konzern mit einem IT-Unternehmen, das die diversen Konzernangebote für Mitarbeiter von Kita bis Paketshop unkompliziert zugänglich macht. Am Universitätsklinikum Gießen wird eine App getestet, die den Patientenruf optimieren soll. Ziel ist es, unnötige Laufwege – intern „Sneaker Time“ genannt – zu verringern. Und auf ärztlicher Seite wird mit einem österreichischen Partnerunternehmen ein medizinisches Cockpit entwickelt, das Dokumente, die ein Patient mitbringt, durch Scannen und semantische Analyse so aufbereitet, dass sich die wichtigsten und für den Behandlungspfad relevanten Informationen gezielt erkennen lassen.

Jenseits der Partnerschaften mit IT-Unternehmen, Medizintechnikherstellern oder Startups sind Krankenhäuser in einem modernen Gesundheitswesen auch immer stärker auf die „klassische“ Vernetzung mit kooperierenden Einrichtungen angewiesen. Um in Zeiten, in denen die duale Krankenhausfinanzierung die Innovationsbedürfnisse nicht mehr abdeckt, Hochleistungsmedizin anbieten zu können, kooperiert zum Beispiel das Universitätsklinikum Heidelberg im Rahmen von 53 Kooperationsverträgen mit umliegenden Krankenhäusern. Auch mit 45 Arztpraxen gibt es Kooperationsverträge.

Dass Kooperationsmodelle zwischen Krankenhäusern nicht zuletzt im Bereich Forschung völlig alternativlos sind, unterstreicht Prof. Dr. Heyo Kroemer, Dekan und Vorstandssprecher der Universitätsmedizin Göttingen: „Das alleinstehende Klinikum, das alle Technologien unter seinem Dach vereint, gehört der Vergangenheit an.“ So sei es etwa im Bereich Genomsequenzierung nicht möglich, die nötigen Kapazitäten als einzelne Einrichtung aufzubauen. Hier sei vielmehr eine nationale Infrastruktur erforderlich, wie sie kürzlich auch von der Arbeitsgruppe „Infrastrukturen“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung empfohlen worden sei.

Die Genomsequenzierung ist für Kroemer auch ein gutes Beispiel für ein Szenario, bei dem Partnerschaftsmodelle, die ursprünglich aus Forschung und Entwicklung kommen, letztlich für die Krankenversorgung relevant werden.
Denn in Zeiten der Präzisionsmedizin hält die genetische Sequenzierung zügig Einzug in die ganz normale Diagnostik und Behandlung.

Eine ähnliche „Diffusion“ in die Versorgung erwartet der künftige Charité-Chef bei einem derzeit laufenden, groß angelegten Förderprogramm des deutschen Forschungsministeriums (BMBF), der Medizininformatikinitiative. Im Rahmen dieser Initiative haben sich mehrere Konsortien von Universitätskliniken gebildet, die mit Hilfe von zahlreichen Industriepartnern, unter anderem Siemens Healthineers, gemeinsame Patientendatenbanken aufbauen. Das soll eine einrichtungsübergreifende Forschung ermöglichen und auch eine Umsetzung von Big-Data-Projekten mit dem Ziel, die medizinische Versorgung in Bereichen wie Intensivmedizin, Antibiotikatherapie oder Sepsis zu verbessern.


Von Philipp Grätzel von Grätz

Philipp Grätzel von Grätz lebt und arbeitet als freiberuflicher Medizinjournalist in Berlin. Seine Spezialgebiete sind Digitalisierung, Technik und Herz-Kreislauf-Therapie.